Ähnlich und doch verschieden

08.09.2022

Molekulare Strukturen der Rag Dimere.

Evolution: Säugetierzellen nehmen Nährstoffe präziser wahr

Unsere Zellen brauchen Nährstoffe aus ihrer Umgebung, um zu wachsen und sich zu vermehren. Um auf schwankende Nährstoffmengen richtig reagieren zu können, verfügen unsere Zellen über empfindliche molekulare Mechanismen, die Informationen über den allgemeinen Nährstoffstatus "lesen" und "übermitteln". Das Herzstück dieser Maschinerie sind die mTOR-Kinase und die sogenannten Rag-GTPasen, die steuern wo sich mTOR in den Zellen befindet. Obwohl menschliche Zellen vier verschiedene paraloge Rag-Gene enthalten, wurde angenommen, dass die vier verschiedenen Rag-Dimere, die von den jeweiligen Proteinen gebildet werden können, funktionell identisch sind. Eine neue Studie der Demetriades-Gruppe am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns zeigt nun, dass dies nicht der Fall ist. Sie deutet darauf hin, dass Säugetierzellen Möglichkeiten entwickelt haben, die Aktivität von mTOR genauer zu regulieren als bisher angenommen.

Zellen müssen erkennen können, ob in ihrer Umgebung Nährstoffe vorhanden sind, damit sie nur dann wachsen, wenn sie alles haben, was sie brauchen. Der wichtigste Nährstoffsensor in den Zellen ist ein Protein namens mTOR, dessen Aktivität von einer Vielzahl von Proteinen streng kontrolliert wird. Das reibungslose Arbeiten dieser Maschinerie ist entscheidend für die menschliche Gesundheit. Wenn Fehler passieren führt dies schnell zu lebensbedrohlichen Krankheiten und dem Altern des Menschen. "Die komplizierten Details zu verstehen, wie diese Maschinerie in den Zellen funktioniert, ist von grundlegender Bedeutung, um zu wissen, wie und warum wir altern", erklärt Constantinos Demetriades, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns und Associated Principal Investigator am Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD, der die Studie geleitet hat.

Sind alle Rags gleich?

Wenn Nährstoffe - insbesondere Aminosäuren - im Überfluss vorhanden sind, wird mTOR auf der Oberfläche von Lysosomen - speziellen Organellen in der Zelle - aktiviert, wo es von einer Reihe von Proteinen, den sogenannten Rag-GTPasen (Rags), verankert wird. Während niedere Organismen wie Hefe oder Fliegen nur zwei Rag-Proteine haben, die einen einzigen Komplex bilden, bilden Säugetierzellen vier verschiedene Rag-Proteine (RagA-D), die sich zu vier verschiedenen Komplexen zusammenschließen können. Da die verschiedenen Rags einander sehr ähnlich sind, haben Forschende sie bisher als funktionell gleichwertig angesehen und sie in Experimenten austauschbar verwendet, um zu untersuchen, wie mTOR durch Nährstoffe reguliert wird. "Da wir wissen, wie die Evolution funktioniert, war das nicht sehr sinnvoll", sagt Demetriades. "Wenn Gene dupliziert werden und die neuen Kopien aktiv bleiben, liegt das in der Regel daran, dass sie eine etwas andere Funktion erhalten als die Ursprünglichen, damit die Zellen präziser arbeiten können". Aus diesem Grund und aufgrund früherer experimenteller Beobachtungen beschlossen die MPI-Wissenschaftler, die Vorstellung, dass alle Rags gleich sind, zu hinterfragen.

Funktionell unterschiedliche Rag-Komplexe

Um ihre Hypothese zu testen, veränderten sie zunächst menschliche Zellen in Zellkultur so, dass alle vier Rag-Gene ausgeschaltet wurden, und fügten dann jeweils ein Rag-Dimerpaar wieder ein. Anhand dieser verschiedenen Zelllinien fanden sie heraus, dass die verschiedenen Rag-Komplexe tatsächlich funktionell unterschiedlich sind: Das Vorhandensein eines bestimmten Rag-Proteins (RagD) bestimmt, welche mTOR-Ziele aktiviert werden, während ein anderes Rag (RagB) die Fähigkeit von mTOR beeinträchtigt, auf den Mangel an Aminosäuren zu reagieren, wodurch die Zellen teilweise unempfindlich gegen Hunger werden.

Feinabstimmung des mTOR-Signalweges

Die Forschenden vermuten, dass diese zusätzlichen Rag-Komplexe Säugetierzellen dabei helfen, die Aktivität des mTOR-Signalwegs präziser abzustimmen. So könnten RagB-haltige Komplexe den Zellen dabei helfen, eine gewisse mTOR-Aktivität aufrechtzuerhalten, auch wenn der Nährstoffgehalt niedrig ist, um Funktionen aufrechtzuerhalten, die für ihre Reaktion auf Hunger entscheidend sind. Da verschiedene Zelltypen Rag-Proteine in unterschiedlichen Verhältnissen exprimieren, ist ein alternatives Szenario, dass das Vorhandensein von zwei zusätzlichen Rags in Säugetierzellen festlegt, wie bestimmte Gewebe auf niedrige Nährstoffwerte reagieren. Die letztgenannte Hypothese wird auch durch eine begleitende Studie einer anderen Gruppe im DKFZ, Heidelberg, unterstützt, die nahelegt, dass RagB eine besondere Rolle in Gehirnzellen spielen könnte.

"Unsere Studie verdeutlicht die Komplexität der zellulären Nährstoffsensormaschinerie in Säugetieren. Erst wenn wir verstehen, wie diese Maschinerie im Detail funktioniert und was schiefläuft, wenn wir krank werden oder altern, können wir bessere und spezifischere Wege vorschlagen, um diese mTOR-bedingten Krankheiten effektiver zu bekämpfen", sagt Demetriades.

Original Veröffentlichung:

Peter Gollwitzer, Nina Grützmacher, Sabine Wilhelm, Daniel Kümmel, Constantinos Demetriades
A Rag GTPase dimer code defines the regulation of mTORC1 by amino acids.
Nat. Cell Biol., Sep 2022

Erfahren Sie mehr über die Arbeit in der Forschungsgruppe Demetriades.